Das spröde Verhalten von Glas verlangt innovative Lösungen, um die Standsicherheit von gebrochenen Glasbauteilen sicherzustellen. Glasbauteile müssen im gebrochenen Zustand unter einer definierten Einwirkung über einen festgelegten Zeitraum standsicher bleiben. Diese Anforderung gilt für das einzelne Bauteil als auch für das Gesamttragwerk. Die Tragfähigkeit im gebrochenen Zustand wird als Resttragfähigkeit bezeichnet. Um diese Resttragfähigkeit zu erzielen bzw. zu steigern, werden Verbundsicherheitsglas-Systeme (VSG-Systeme) eingesetzt. Hierbei werden zwei oder mehrere Glasscheiben mittels Zwischenschicht(en) zu einem Laminat zusammengefügt. Der Zustand, in dem sich diese Glasscheiben befinden, bestimmt das Tragverhalten des Laminats. Daher wird der Zustand eines Laminats wie folgt unterschieden:Zustand I: alle Glasscheiben intaktZustand II: Glasscheibe(n) gebrochen, jedoch mindestens eine intaktZustand III: alle Glasscheiben gebrochenNach eingetretenem Bruch der Glasscheiben besitzen VSG-Systeme zumeist eine gewisse Resttragfähigkeit. Jedoch werden die Zeitdauer, die ein gebrochenes VSG-System in der Lagerung verbleibt, sowie die maximal aufnehmbare Resttraglast von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Zu diesen Einflussfaktoren zählen: die Glaserzeugnisse, die Lagerungsbedingungen des VSG-Systems, die Geometrie des Laminataufbaus, die verwendete Zwischenschicht, die Art und die Geschwindigkeit der Lasteintragung, die Temperatur der einzelnen Schichten des VSG-Systems und das Bruchbild infolge der Glasschädigung. Bei einer ungünstigen Überlagerung dieser Faktoren besteht die Gefahr, dass keine Resttragfähigkeit vorhanden ist. Diese ist jedoch für den Einsatz von Verglasungen im Überkopfbereich, bei absturzsichernden sowie bei begeh- und betretbaren Verglasungen zwingend erforderlich.In der vorliegenden Arbeit werden VSG-Systeme untersucht. Dabei stehen insbesondere VSG-Systeme aus ESG im Vordergrund, da diese Systeme auf Grund der hohen Zugfestigkeit von ESG im ungebrochenen Zustand I und der sehr geringen Resttragfähigkeit infolge der kleinen Bruchstücke im Zustand III ein großes Verbesserungspotential bieten.Durch eingebettete Bewehrungselemente in der Zwischenschicht können diese Systeme im Zustand III eine Resttragfähigkeit aufweisen. Für die Versuchskörper werden Gewebe und Lochbleche aus Edelstahl als Bewehrungselemente in den Zwischenschichten einlaminiert. In Vier-Punkt-Biegeversuchen wird das Trag- und Resttragverhalten unter kurzzeitiger Lasteinwirkung bei Temperaturen von 23°C, 40°C und 70°C untersucht. Zusätzliche Biegekriechversuche geben Aufschluss über die Resttragfähigkeit unter Dauerlast.Die Arbeit zeigt auf, dass das mechanische Verhalten der Zwischenschicht und somit das Trag- und das Resttragverhalten eines VSG-Systems von der Bauteiltemperatur, der Einwirkungsart und der Einwirkungsdauer geprägt werden. Eine eingebettete Bewehrung in der Zwischenschicht vermag dieses Verhalten insbesondere im Zustand III erheblich zu verbessern. Die Bewehrung-Zwischenschicht-Matrix kombiniert die hohe Dehnsteifigkeit und Festigkeit der Bewehrung mit dem guten Haftungsvermögen der Zwischenschicht. Dies führt zu einer erhöhten Biegesteifigkeit und einer gesteigerten Tragfähigkeit im Zustand III.Die gewonnenen Erkenntnisse aus Versuchen münden in einen Bemessungsvorschlag für gebrochene VSG-Systeme.Anhand des Laminataufbaus wird eine bilineare Momenten-Krümmungs-Beziehung für das VSG-System im Zustand III definiert. Mit dieser lassen sich Aussagen über die vorhandene Momententragfähigkeit und die zu erwartenden Biegeverformungen treffen.Basierend auf der Fließlinientheorie wird die erforderliche plastische Momententragfähigkeit in Abhängigkeit von der Belastung und der Lagerungsbedingungen bestimmt.Die ermittelte Resttragfähigkeit von bewehrten VSG-Systemen ist bedeutend höher als bei unbewehrten Systemen mit PVB-Folie oder SentryGlas als Zwischenschicht. Dies führt bei der Verwendung von bewehrten VSG-Systemen zu reduzierten Glasdicken und somit zu gewichtsminimierten Konstruktionen.Bewehrte VSG-Systeme ermöglichen ein „fail-safe“ Sicherheitskonzept für das sprödbrechende Glas. Dieses Konzept beruht auf dem Grundsatz, dass ein System nicht durch den Ausfall eines einzelnen Elements versagen darf und alternative Lastabtragungsmechanismen zur Verfügung stehen. Dies ist durch die eingebettete Bewehrung gegeben.Darüber hinaus kann die Bewehrung in einem VSG-System auch als gestalterisches Element herangezogen werden. Die Bewehrung kann eine Gebäudehülle je nach Art der Lichtverhältnisse strukturieren, transparent erscheinen lassen oder durch Reflexionen verändern. Auch bauphysikalische Aspekte hinsichtlich Sonnenschutz, Blendschutz und Energieeintrag in ein Gebäude können hierdurch Berücksichtigung finden. Der Einsatz von bewehrten VSG-Systemen als angriffshemmende Verglasung ist ebenfalls denkbar.
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